Wir sind keine Vulkanier: Schätzen entspricht unserer Natur zum Kopieren

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Wie man sein Gehirn (trotzdem) zu besseren Entscheidungen nötigt!

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Entgegen dem aus dem Star-Trek-Universum bekannten Vulkanier Mr. Spock ("Alles was ich kenne ist Logik. Schätzen entspricht nicht meiner Natur.") neigen wir Menschen zu spontanen, unüberlegten oder nicht zu Ende gedachten Entscheidungen. Neurowissenschaftler Dr. Ulrich Pfeiffer aus dem ADVIA Team „Agile Transformation & New Work“ erklärt, warum das so ist und was man dagegen tun kann.

Bestimmt wird unser Gehirn von zwei diversen Denksystemen: Das schnelle und das langsame Denken. Schnelles Denken geschieht unbewusst, automatisch, mühelos, parallel, nonverbal, pragmatisch und assoziativ. Während langsames Denken bewusst, kontrolliert, mühsam, sequentiell, sprachbezogen, regelbasiert und logisch abläuft. Für eine gute Entscheidung benötigt man beide Systeme – wir jedoch neigen eher zu einfachen, schnellen Entscheidungen.

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Kognitive Verzerrungen: Einige Beispiele

Es gibt mittlerweile mehr als hundert dokumentierte Beispiele, wie schnelles Denken zu kognitiven Verzerrungen und irrationalen Entscheidungen führt. Anhand der folgenden drei ausgewählten Kategorien lässt sich das Problem veranschaulichen:

  • Versunkene Kosten/Sunk-Cost-Effect: Obwohl einem der Film im Kino überhaupt nicht gefällt, bleibt man bis zum Schluss sitzen. Rational gesehen, sollte man aufstehen und etwas Schönes machen. Allerdings ist unsere Bereitschaft, etwas abzubrechen geringer, sobald wir etwas investiert haben.
  • Spielerfehlschluss/Gambler’s Fallacy: Mit jedem weiteren Lottoschein erwartet man, dass sich die Gewinnchancen erhöhen oder dass Ereignisse aus der Vergangenheit die Zukunft beeinflussen. Statistisch bleiben die Chancen auf einen Gewinn allerdings unverändert.
  • Bestätigungsfehler/Confirmation Bias: Um die eigene Meinung zu bestätigen, werden Informationen selektiv gesammelt. Wer etwa Agilität heute für unabdingbar hält, findet dafür jede Menge Beispiele und vernachlässigt womöglich Beiträge, die Problematiken hervorheben.

Kognitive Verzerrungen - gut und schlecht zugeich

Evolutionsgeschichtlich sind kognitive Verzerrungen (engl. Cognitive Biases) Bewältigungsstrategien für kognitive Herausforderungen. Das kann z.B. unsere begrenzte Aufnahme- und Gedächtniskapazität sein, weshalb wir uns auf bereits bekannte oder sich wiederholende Dinge fokussieren und nur vermeintlich Wichtiges/Nützliches abspeichern. Oder dass wir, wenn Informationen lückenhaft sind, diese durch eigene Interpretation auffüllen.

Das entlastet zwar unser Gehirn, die Problematik liegt jedoch auf der Hand: Uns entgehen Informationen, Verzerrungen werden verstärkt, Zusammenhänge übersehen und falsche Geschichten konstruiert. Um (trotzdem) gute Entscheidungen treffen zu können, hilft es sich an den Checklisten von Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann zu orientieren.

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Kahnemanns Checkliste

Um schwerwiegende kognitive Verzerrungen möglichst auszuschalten, empfiehlt Kahnemann die Überprüfung von Entscheidungen durch drei Arten von Fragen, die sich wiederum in weitere aufgliedern.

  • Fragen an Dich selbst
  1. Self-Interested Biases: Gibt es Eigeninteressen bei Dir und im Team? Können diese zu Fehlern führen? Ist eine Begründung bspw. übertrieben optimitisch/pessimistisch?
  2. Affect Heuristic: Hat sich das Team in seinen eigenen Vorschlag verliebt? Werden positive und negative Aspekte ausgewogen berücksichtigt? Wird die Entscheidung emotional verteidigt?
  3. Groupthink: Gab es abweichende Meinungen im Team? Wenn ja, wurden diese adäquat berücksichtigt? Wenn nein, warum gab es keinen Dissens?
  • Fragen an das Team
  1. Halo Effect: Werden Personen/Projekte automatisch als Garant für Erfolg oder Misserfolg betrachtet? Gibt es dafür Gründe?
  2. Confirmation Bias: Wurden Alternativen glaubhaft berücksichtigt? Oder wurde selektiv nach Unterstützung gesucht?
  3. Sunk Cost Effect: Klammert sich Dein Team an vergangene Entscheidungen? Wie würde ein neues Teammitglied die Entscheidung bewerten?
  • Fragen an das Thema der Entscheidung
  1. Anchoring Bias: Woher kommen die Zahlen und Daten? Sind alle Zahlen logisch begründet und faktisch belegt oder geschätzt? Gibt es weitere Quellen?
  2. Planning Fallacy: Ist der Entscheidungsvorschlag übertrieben optimistisch? Werden Prognosen und Worst-Case-Szenario realistisch dargestellt?
  3. Loss Aversion: Ist der Entscheidungsvorschlag zu vorsichtig? Gibt es Gründe für Angst vor potenziellen Verlusten, die zu einer zu konservativen Entscheidung führen?

Allein durch das Bewusstsein sich auf diese Fragen einzulassen, hebt man Entscheidungen in das bewusste, langsame Denken, um richtige und gute Entscheidungen zu treffen. Dieser Vorgang, kognitive Verzerrungen zu entzerren und zu vermindern, wird unter dem Begriff Debiasing zusammengefasst und sollte vor jeder wichtigen Entscheidung stattfinden. Kurzum: „Überprüfe Dich selbst und gehe nicht davon aus, dass Du richtig liegst.“

Hier geht's zum Video:

Dr. Ulrich Pfeiffer

Management Consultant

Dr. Ulrich Pfeiffer ist einer unser Experten im Agile Transformation & New Work Team der ADVIA.

Ulrich beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der nachhaltigen Transformation von Organisationen im Kontext der Digitalisierung. Er berät Unternehmen zu neuen Organisationsformen, hybriden Arbeitsmodellen und Strategien für die digitale Zukunft.

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